Schwammstadt – Regenwasser hiergeblieben!

Regenwasser ableiten in die Kanalisation? Die Schwammstadt setzt lieber auf die lokale Speicherung. Lesen Sie in unserem Interview mit Prof. Dr. Roland Müller vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, wie Städte ihren Wasserkreislauf optimieren können, um für den Klimawandel besser gerüstet zu sein.

Weltweit haben urbane Räume mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Extreme Wetterereignisse bringen städtische Infrastrukturen an ihre Grenzen, bedrohen die Gesundheit der Menschen, belasten die Umwelt und sorgen für erhebliche Kosten. Biotechnologe Prof. Dr. Roland Müller forscht zu den Möglichkeiten, den lokalen Wasserkreislauf von Städten an die neuen Herausforderungen und den Klimawandel anzupassen. Was es braucht? Mehr dezentrale Lösungen. Und vor allem: schnelles Handeln …

Herr Prof. Müller, welche Herausforderungen kommen auf die Städte zu, wenn wir über das Thema Regenwasser sprechen?

Wasser ist Fluch und Segen zugleich: Auf der einen Seite werden sich durch den Klimawandel Starkregenereignisse häufen, die die kommunalen Infrastrukturen erheblich belasten. Zugleich nehmen Hitzeperioden und Trockenheitsphasen zu. Diese setzen das Stadtgrün unter Stress, schränken unsere Lebensqualität ein und stellen für manche Bevölkerungsgruppen durchaus eine gesundheitliche Gefahr dar. Das Ziel muss sein, in Überflusszeiten Niederschläge zu speichern, um in Zeiten des Mangels genügend Wasser vorrätig zu haben. Die Stadtplanung muss darauf reagieren, ihr Wassermanagement anpassen und die Städte fit und resilient machen. Eine komplexe Aufgabe, die man lieber heute als morgen beginnen sollte.

Die Zeit drängt also. Was wären Maßnahmen, die sich zügig umsetzen ließen?

Wir sprechen hier über eine Sammlung von Technologien, die wir als blaugrüne, multifunktionale Wasserinfrastrukturen zusammenfassen. Multifunktional deshalb, weil sie mehrere Wirkungen für die Stadt haben. Ein klassisches Beispiel ist das Gründach: Es kann Regenwasser speichern, wo es nach und nach wieder verdunstet und das Mikroklima verbessert. Oder es in den Innenhof ableiten zur Speicherung in Tanks oder zur Versickerung, um den lokalen Grundwasserspeicher zu füllen. So ein Dach hat auch eine Isolationswirkung für die darunterliegenden Stockwerke des Gebäudes. Zudem reflektieren die Pflanzen Lichtenergie – zumindest, wenn das Gründach ökologisch fit ist, also wenn es dann grün ist, wenn es grün sein muss: im Sommer. Auch in den Hinterhöfen lässt sich Wasser dauerhaft in Zisternen speichern oder in Rigolen- und Muldensystemen zwischenspeichern und versickern. Und es gilt, die grüne Infrastruktur, also Bäume, Parks etc. mit einzubeziehen, über Baumrigolen etwa. Gefragt sind also dezentrale Regenwasserinfrastrukturen, um die Wasserkreisläufe einer Stadt so anzupassen, wie es für die jeweils spezifischen Klimabedingungen und lokalen Gegebenheiten sinnvoll ist.

Diese Maßnahmen sind sehr kleinteilig – welchen Effekt kann man davon erwarten?

Bei Starkregen, der heute ins Kanalnetz verschwindet, kommt es schnell zu Abflussspitzen und damit zu Überschwemmungen und Kanalüberläufen. Durch viele kleine, dezentrale Speicher- und Versickerungsmöglichkeiten mildere ich diese Spitzen ab und verringere dadurch die Risiken. Tatsächlich lassen sich schon heute ganze Quartiere vom Kanalnetz abkoppeln, sodass das Niederschlagswasser im Quartier bleibt – mit einem technischen Aufwand, der nicht groß ist. Das ist der Charme, wenn man mit solch kleinteiligen Systemen plant. Modellrechnungen haben gezeigt: Wir können von einem 30-jährigen Regenereignis an die 90 Prozent des Wassers zurückhalten. Betrachtet auf die Gesamtstadt ergeben sich so erhebliche Gestaltungsspielräume, allein wenn man schon 10 bis 20 Prozent der Quartiere vom Netz abkoppeln würde.

Ist das Thema schon in der Breite bei den Verantwortlichen angekommen?

Im Großen und Ganzen schon, denke ich. Immer mehr Städte rufen den Klimanotstand aus und fangen an, wassersensitiv zu denken und zu planen. Und es gibt diverse Dokumente wie die Nationale Wasserstrategie vom Bundesumweltministerium und andere Handreichungen, die die Stadtpolitik inzwischen kennen sollte. Es würde mich sehr wundern, wenn die Städte, die Stadträte und Umweltämter, das nicht lesen würden. Das ist, das muss man so deutlich sagen, Pflichtlektüre.

Die Politik allein kann es nicht richten, oder?

Es müssen neue Planungs- und Kommunikationsstrukturen entstehen und mehr Beteiligte an einen Tisch: die verschiedenen Ämter, Planer und Investoren. Besonders die Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften, denen bis zu 30 oder 40 Prozent der Wohnfläche gehört, sehen wir als wichtigen Partner beim Stadtumbau. Damit nicht nur in Neubauquartieren, sondern auch bei Sanierungen im Bestand mehr dieser wassersensitiven Maßnahmen umgesetzt werden. Über entsprechende Vorschriften und Verordnungen, aber auch durch Anreizsysteme und Fördergelder, wie wir es aus der energetischen Sanierung kennen, ließe sich viel erreichen. Wir beobachten, dass es insbesondere in großen Städten Investoren und Wohnungsgesellschaften gibt, die durchaus gewillt sind, neue Wege zu gehen.

Für eine wassersensitive Stadtplanung ist auch ein gewisses Know-how nötig, um etwa Ausschreibungen, Verordnungen und Pläne entsprechend auszurichten. Woher soll das kommen?

In kleineren Kommunen fehlt oft das Personal, um das alles anzugehen und umzusetzen. Auch hier könnten größere Städte demonstrieren, wie man es macht, damit kleinere von den Ergebnissen schneller profitieren. Zudem steht aus den deutschen Schwammstadt-Modellprojekten viel Wissen bereit. Als wissenschaftliche Begleiter des Leipziger Projekts zum Beispiel haben wir durch verschiedene Veranstaltungen und Maßnahmen an die 1000 kommunale Vertreter erreicht. Natürlich geht eine solche urbane Transformation nicht von heute auf morgen über die Bühne. Aber man sollte so schnell wie möglich beginnen, auf Quartiers- oder Wohnblockebene diese wassersensitive Planungsphilosophie umzusetzen. Die Städte, die Ämter, die Unternehmen, alle lernen dann mit jedem umgesetzten Projekt weiter, das ist wichtig.

Sponge City: Schwamm drunter!

Regen, der auf Gebäude, Parkplätze und Straßen niedergeht, landet bisher größtenteils im Gully und wird bis vor die Tore der Stadt transportiert – in Rückhaltebecken, Kläranlagen oder Flüsse. Damit stört die fortschreitende Flächenversiegelung den natürlichen Wasserkreislauf in den Städten. Überschwemmungen und sommerliche Überhitzung sind die häufigen Folgen. In einer Sponge City, der Schwammstadt, wollen Stadtplaner daher mit einer angepassten örtlichen Infrastruktur natürliche Reservoirs für Regenwasser schaffen. Auf dem ehemaligen Gelände des Eutritzscher Freiladebahnhofs in Leipzig entsteht derzeit etwa das neue Quartier Leipzig 416. Das Modellvorhaben, das mit gut 2,8 Millionen Euro durch das Bundesforschungsministerium unterstützt wird, will ein abflussloses und ressourceneffizientes Stadtquartier schaffen.

Ziel ist, unter anderem das Abwassersystem zu entlasten, das Mikroklima zu verbessern und ein resilientes Starkregenmanagement zu ermöglichen. Hierbei wolle man nicht nur multifunktionale Wasserinfrastrukturen, sondern auch neue Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen zwischen den Akteuren aus Kommune, Wissenschaft und Privatwirtschaft erproben. Federführend in der Projektleitung ist das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.


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